Auf der Suche nach dem Rum

Da ich schiffbruechig auf einer einsamen Tropeninsel in unmittelbarer Aequatornaehe gestrandet bin, ist anzunehmen, dass es sich bei meinem Eiland um ein Piratennest handelt. Und das Elementarste an jedem Piratennest, sind selbstredend die literweisen Rumvorraete, die es nun gilt aufzuspueren. Ich bin umgeben von ungewohnten – laengst vergessenen – Geraeuschen. Vogelzwitschern. Aus dem Dschungel dringt der Ruf regenbogenfarbener Paradiesvoegel. Ueber meinem Kopf kreist ein Seeadler. In meinem Traum waechst er an zu einem Monstrum mit einer Fluegelspannweite von knapp vier Metern. Seine Krallen greifen nach mir, graben sich tief in mein Fleisch, tragen mich hoch in die Luefte und werfen mich in den Hoellenschlund des Gunung Sinabung, in dessen Inneren mich die gluehende Lava verschlingt. Nun gut. Zurueck zum Rum. Bewaffnet mit einem Oberschenkelknochen eines bemitleidenswerten Schiffbruechigen vergangener Zeiten, den ich am Strand zwischen Kokosnussschalen, Palmenstaemmen und Fischkadavern gefunden habe, kaempfe ich mich durch die dichte Vegetation des Dschungels. Auf dem Weg erschlage ich eine braun/sandfarbene Schlange, die sich, unvermittelt aus dem Dickicht schlaengelnd, bedrohlich fauchend vor mir aufbaeumt. Ich verschlinge sie roh. Ich balanciere auf den Ueberresten von von den Tropenstuermen der letzten Jahrhunderte niedergemaehten Palmenstuempfen ueber sumpfige Gewaesser, getrieben von der Ahnung, dass Baeche auf einsamen Inseln in der Regel zu einem Wasserfall fuehren, hinter dem sich in der Regel verborgene Hoehlen befinden, in denen die Piraten in der Regel ihre Rumvorraete lagern. Abgelenkt durch den Angriff einer mannsgrossen Drachenechse (durch den gezielten Schlag mit dem Oberschenkelknochen auf die Schnauze, kann ich sie ausser Gefecht setzen und entgehe so ihrem bedrohlich weit aufgerissenen Maul, aus dem der beissende Geruch fauliger Verwesung stroemt) verliere ich das Gleichgewicht, rudere, zappele, rudere, falle und versinke bis zur Brust in den totbringenden Tiefen des Sumpfes. Je heftiger ich um mich schlage, desto gieriger verschlingen mich die Schlammmassen und so beschliesse ich meine aussichtslosen Ruderbewegungen einzustellen und die Sache auszusitzen. Was soll man machen? Erfahrungsgemaess fuehrt nichts tun zur Loesung. Morgens und abends trinke ich ein bisschen Schlamm, ab und zu gelingt es mir, mit der Zunge einen ahnungslos vorbeihuepfenden Frosch zu erwischen. Die Loesung erscheint knapp zwei Tage spaeter in Form von Jules Verne mit einer Horde einheimischer, wild anmutender Gestalten im Schlepptau. Ihre Lenden bedeckt mit Kokosnussschalen, ihre Haelse ziehren lange Ketten aus Menschenzaehnen, Fingerknochen durchbohren ihre Nuestern. Jules Verne ist vor einigen Jahren als franzoesischer Handelsreisender von einer Tsunami erfasst und auf dieses gottverlassene Eiland gespuelt worden, wo er nun dabei ist, ein Rumresort fuer Schiffbruechige aufzubauen. Ich kraechze ein kaum vernehmbares „hallo. hier.“, werde entdeckt und mit vereinten Kraeften aus dem unglueckseligen Schlammloch gehievt. Da ich vor Erschoepfung und Nahrungsmangel unfaehig bin, mich zu bewegen, zurrt man mich auf dem verkrusteten Ruecken eines weissen (zahmen?) Krokodils fest und setzt seinen Weg Richtung Lager fort. Der vertraute Geruch von Schweiss und verdorrten Fruchtschalen laesst mich aus meinem Trance erwachen. Ich blinzele. In der Ferne, am Flussufer unterhalb des Wasserfalls, erkenne ich die schemenhaften Umrisse zweier zotteliger Gestalten (maennlich? Weiblich? Beides?), die mir, als sei ich ihnen in einem anderen Leben schon einmal begegnet, auf wundersame Weise bekannt vorkommen. Spaeter am Lagerfeuer stellen sie sich als Frutarians vor. Frutariens ernaehren sich ausschliesslich von rohen Fruechten und deren Samen. Vor langer Zeit wurden sie in einem entlegenen Dschungeldorf hoch im Norden Sumatras von einer unerwartet ueber das Dorf hineinbrechenden Flut flussabwaerts gerissen, in den indischen Ozean gespuelt (wo sie sich eine zeitlang von Algen, Seetank und Salzwasser ernaehrten und zwischenzeitlich den Lebensstil von breatherians fuehrten) und konnten sich (mitunter von Delfinen getragen) mit letzter Kraft auf dieses einsame Eiland retten, wo sie nun magische Dschungeltrunks zusammenbrauen, deren Genuss ewige Jugend verspricht. So sitzen wir noch lange am Lagerfeuer, schmettern alte Piratenhymnen, leeren drei Fass Rum und tanzen wie die Wilden ausgelassen zu den Knochenbeats. Wir drehen uns, bis wir nicht mehr wissen, wo oben und unten ist, immer schneller, immer schneller, um uns herum wirbeln flughundgroße Schmetterlinge, drehen uns, singen, groehlen und driften ab in die unendlichen Weiten eines tiefschwarzen, von Kometenschweifen durchzogenen Deliriums.

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