Tarutao. Oder: Das geheimnisvolle Eiland. Tag 4.

“I find it pretty scary here. What do you actually know about this island?” frage ich den Ranger, waehrend ich mir am morgen meines vierten Tages an der Essensausgabe meinen Instantcoffee aufgiesse „You want know island?” . Er spuckt auf den Fussboden. „Willst Du die Seele der Insel verstehen, musst Du abseits der Pfade gehen. Und dort, wo es keine Pfade gibt, folge dem Fluss. Und dort, wo die Berge Dir den Weg versperren, suche die Hoehlen, die Dich durch ihr Inneres fuehren.“ Ok. Auf einem winzigen orangenem Plastikkajak schippere ich einsam durch die sengende Hitze. Mit 1000en kleinen Armen windet sich der Fluss wie eine riesige Krake durch das Innere Tarutaos. Ein Arm sieht aus, wie der andere. Es ist nicht leicht in diesem von Mangroven geformten Labyrinth die Orientierung zu behalten. Kein Lueftchen regt sich. Aus den Mangrovenwaeldern hallen geheimnisvolle Laute. Ich versuche mir anhand der Form herunterhaengender Aeste den Weg einzupraegen. Die Hitze ist unertraeglich, es gibt keinen Schatten. Seit gut zwei Stunden bin ich nun schon keiner Menschenseele mehr begegnet, als ich einen sogenannten dead end spot erreiche. Vor mir bilden massive Felsformationen einen natuerlichen Wasserpool. Der Arm des Flusses endet hier. Die Felsen ragen gut 60m in die Hoehe. Dahinter tiefer Dschungel. Zu meiner rechten fliesst ein verirrter Zweig des Flusses, keine 80cm im Durchmesser, in eine Hoehle. Das Maul des Kraken. Crocodile Cave... „...Und dort, wo die Berge Dir den Weg versperren, suche die Hoehlen, die Dich durch ihr Inneres fuehren...“ Ich mache das Boot fest und folge dem Wasserlauf in die Dunkelheit. Wenn das vor mir tatsaechlich Crocodile Cave sein sollte, erinnere ich mich gelesen zu haben, dass sich die Hoehle gut 300m in das schwarze steinerne Herz des Berges frisst. Ich erinnere mich ebenfalls, gelesen zu haben, dass sich in dieser Hoehle in vergangenen Zeiten bis zu 200 Krokodile tuemmelten, die das Hoehlenwasser mit dem geringen Salzgehalt zu schaetzen wussten. Ich gehe davon aus, dass vergangene Zeiten tatsaechlich vergangen sind. Sonst haette man mir wohl nicht geraten, den Fluss mit dem Boot...oder? Schon gar nicht mit dieser Nussschale...? Barfuss balanciere ich auf wuchtigen Felsbrocken und versuche dem Wasser nicht zu nahe zu kommen. In der Hoehle ist es kuehl. Wenn auch nicht so kuehl, wie ich es erwartet haette. Es riecht modrig. Es ist dunkel. Nur schemenhaft kann ich die Konturen der Felswaende ausmachen. Ich lasse mich auf einem Stein nieder und sauge die kuehle Hoehlenluft in mich auf. Vielleicht gelingt mir sowas wie Vorratsschattenspeicherung. Langsam gewoehnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Etwas tropft von der Hoehlendecke ins Wasser. Der Laut eines jeden Tropfens wird vom Echo wiedergehallt. Plopp opp opp opp...Ueber Jahrtausende gewachsene Tropfsteinformationen geben den Felsen beinahe menschliche Zuege. Es scheint, als wacht eine Armee aus Stein ueber die Hoehle. Sie starrt mich aus hohlen Augen an, bebachtet jeden Schritt, den ich tue. Unbehagen macht sich breit. Im Wasser zuckt etwas. Grosse spinnenartige Wesen laufen seitwaerts ueber den Grund des schwarzen Hoehlensees. Kleine Hoehlenfische springen auf die Felsbrocken, die den See begrenzen. Mit ihrem kraeftigen Schwanz stossen sie sich ab und springen aufwaerts, von Stein zu Stein. Einer nach dem anderen. Ein Platschen, wann immer ein weiterer Fisch auf den Steinen unter mir landet. Es sind viele. Sie bewegen sich in meine Richtung. Sie scheinen zu wissen, dass ich hier bin. Es ist unheimlich. Scheiss auf das Hoehleninnere! Scheiss auf den Schatten! Ich verlasse diesen unheiligen Ort und halte es fuer das Beste, mit meinem Kajak den Rueckweg anzutreten. Besser frueher als spaeter, denn ich weiss nicht, wie oft ich mich in dem Labyrinth der Mangroven verirren werde.

 

 

Ich verstaue meine Tasche im Bug des Kajaks, wickele mir mein Tuch als Sonnenschutz wie einen Turban um den Kopf und mache das Boot los. In diesem Moment streicht ein Windhauch ueber das Wasser. Die Wasseroberflaeche kraeuselt sich. Kaum sichtbare Wellen folgen dem Ruf des Windes. In gewisser Hinsicht kann man wohl sagen, dass mir diese seichte Boehe den Kragen gerettet hat. Als sei es ein Zeichen von Gott, der mir sagt: Fuerchte Dich nicht. Selbst an diesem duesteren vergessenen Ort wache ich ueber Dich. Lasse Dich nicht allein. Denn waere eben dieser Windhauch nicht gewesen, haette ich nicht gesehen, was ich nun sehe. Dort, wo das Wasser der Windrichtung folgen sollte, ist eine Bewegung auszumachen. Eine Bewegung gegen den Strom. Etwas gleitet in unmittelbarer Entfernung von mir dicht unter der Wasseroberflaeche. Etwas Grosses. Und es ist schnell. Eilig ziehe ich meinen Fuss aus dem Fluss. Ich sitze in der kachelnden Sonne auf dem Steg – wenn man es denn Steg nennen kann – und beobachte angestrengt das Wasser, dort wo ich die letzte Bewegung ausmachen konnte. Der Fluss schlummert wieder ruhig und unschuldig. Kleine Stecknadelfoermige Fische lassen sich flussabwaerts gleiten. Der Angriff spielt sich im Bruchteil einer Sekunde ab. Der ahnungslose Reiher wird unter der Wasseroberflaeche zerissen, noch ehe er die Gelegenheit hat, mit dem Fluegel zu zucken. Mit den Augen folge ich den kreisfoermigen Wellenbewegungen, an der Stelle, wo der Vogel von der Bildflaeche verschwunden ist. Der Fluss ist hier keine 3m breit. Links und rechts wird er begrenzt von den dichten Mangrovenwaeldern, die sich bis weit ins Landesinnere erstrecken. Das, was auch immer da unter der Wasseroberflaeche lauert (Krokodil oder Schlange, beides gleich beschissen) vereinahmt mit seiner Koerperlaenge 2/3 der Flussbreite. Wir muessen uns nichts vormachen. Mein Boot ist laecherlich. Klein. Ein gezielter Angriff und Feierabend. Wenn ich kentere, ist es sowieso vorbei. Kein Ausweg. Kein Ausweg. Ich befolge mein altes indonesisches Mantra: Sitz es aus. Erfahrungsgemaess fuehrt nichts tun zur Loesung. 

 

Andere Laender, andere Sitten. Nach 1,5 Stunden nichts tun in der kachelnden Sonne komme ich zu dem Ergebnis, dass das Mantra in Thailand nicht greift. Ich schmilze. Ich habe kein Wasser mehr. Wenn ich mir mit der Zunge ueber die Lippen fahre, schmeckt es, als wuerde ich ein Salzfass auslecken. Meine Kraefte schwinden. Die Rangerstation liegt 5 km stromabwaerts. Die Uhr tickt, bald wird es dunkel. Der Fluss wird nicht patroulliert. Wenn ich das Camp vor Dunkelheit erreichen will, muss ich los. Ich atme tief durch, spreche ein Stossgebet. Vermeide es, einen weiteren Blick auf das Wasser zu werfen. „Was Du nicht siehst, das gibt es nicht, schliess die Augen stell Dich blind, waehrend im Fluss das Boese kriecht, paddel hastig, sei geschwind.“ Meine mueden Haende umklammern das Paddel, bereit dieses dem Monstrum im Falle eines Angriffs ueber den Schaedel zu ziehen, denn kampflos werde ich mich nicht geschlagen geben. Und dann lege ich los. Ich ramme das Paddel mit einer Kraft in den Fluss, als waere es das Letzte, was in diesem Leben von mir verlangt wuerde. 45 Minuten lang paddele ich, als waere der Teufel hinter mir her. Ohne die leisesten Anzeichen von Erschoepfung zu verspueren. Die kommt erst spaeter. Als ich nachts vor meinem Zelt am Strand liege und in den Sternenhimmel starre. Danke. Das ich noch lebe. Fuer dieses Abenteuer. Fuer diese Ruhe. Fuer diese Einsamkeit. Fuer diesen Sternenhimmel. Ich schaffe es nicht mehr ins Zelt. An der Stelle, an der ich mich befinde, entgleite ich in einen tiefen traumlosen Schlaf. Am naechsten Tag checke ich aus.

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