Die Feldstudie

Waehrend ich in Bukit Lawang Stunden damit verbringen konnte, auf dem Holzvorbau vor meinem Zimmer am Fluss zu sitzen und in den Dschungel zu starren, kann ich hier, unter Verlust jeglichem Zeitgefuehls, auf einem Felsen im Meer sitzen und das faszinierende Leben in den Korallenriffen beobachten. „Funny isnt it?“ sagt Evelyn, die ihre Tage scheinbar aehnlich verbringt, wie ich. „Even in nature, where you expect everything to be living in peaceful harmony you can observe after a while that it is actually all about greed. It applies even for the smallest organisms, like take these little hermit crabs for example. I have been watching them for a while now. They are constantly trying to find the perfect shell, always searching for a bigger one or for one that’s more beautiful than the one they possess. And if they can’t find it they will be fighting their neighbor, taking it away from them violently, so that they can grow stronger and more powerful. Really, in this whole world its all about greed. All the time. Everywhere.“

Etwas deillusioniert verlasse ich meinen Felsen und ueberrede Evelyn gemeinsam mit mir auf die gegenueberliegende Insel Surin Tai zu schwimmen. Mir juckt immer noch meine Blockbusterstory „Mein Leben bei den Sea Gypsies“ in den Fingern, und es ist an der Zeit fuer eine kleine Feldstudie.

Die Moken sind die letzten Seenomaden Suedostasiens. Es handelt sich um staatenlose Selbstversorger, die sich von der Natur genau so viel nehmen, wie sie gerade zum Ueberleben benoetigen. Nicht mehr. Und nicht weniger. Waehrend die Maenner tagsueber mit ihren Harpunen auf Fischfang gehen, sammeln Frauen und Kinder bei Niedrigwasser Muscheln am Strand. Von thailaendischen Geschaeftsmaennern aus ihren urspruenglichen Revieren vertrieben und von der burmesischen Navy gejagt, beschossen und drangsaliert fristet das ehemals stolze Volk heutzutage ein marginalisiertes Schattendasein am Rande der Zivilisation, unter anderem in einem kleinen Dorf auf Ko Surin Tai.

 

„Alright, I’m in.“ Schoen. Das brauchte erstaunlich wenig Ueberzeugungskraft. Ich schaetze mit meinem bescheidenen Augenmass die ungefaehre Entfernung bis zur gegenueberliegenden Kueste ab. Bei Hochwasser wohl knapp 2 km, bei Niedrigwasser in etwa die Haelfte. Das sollte wohl zu schaffen sein. Der Plan ist genial und simpel: Wir schwimmer rueber, suchen vom Strand aus nach einem Pfad in den Dschungel und von dort aus den Weg zum Mokendorf und dann schauen wir weiter.Wir verstauen Wasser und FlipFlops in Evelyns Gummisack und laufen den Strand einige Meter in noerdliche Richtung, so dass wir uns mit der Stroemung des ablaufenden Wassers auf die andere Seite treiben lassen koennen. „Alors, watch out for the sharks. We have seen a few around here in the water, non“ bemerkt ein franzoesisches Paaerchen, das vom Strand aus unsere Vorbereitungen beobachtet. „How big?“ Mit ihren Armen deuten sie eine Laenge von ca. 1 m an. Minihaie also. „Alright, we’ll take care then.“ Die erste Haelfte der Strecke legen wir ohne große Anstrengungen zurueck. Dann setzt die Stroemung ein und zerrt an unseren Gliedmassen, wie ein hungriger Krake. Es bedarf eines gehoerigen Kraftaktes, um nicht fortgerissen zu werden. Ich konzentriere mich auf jede einzelne meiner Bewegungen und kaempfe mich mit konstanten gleichmaessigen Schwimmzuegen in Richtung des gegenueberliegenden Ufers. Das Salzwasser brennt wie Feuer auf meinem verwundeten Zeh. Ueber meine Schulter werfe ich einen Blick zu Evelyn, die keuchend gute 20m hinter mir paddelt. Sieht mir nicht so wirklich danach aus, als haette sie die Lage besonders gut im Griff. Das ist schlecht. Ich hege ehrlich gesagt keinerlei Zweifel daran, dass ich das Land frueher oder spaeter erreichen werde, hatte allerdings bislang keinerlei Gedanken daran verschwendet, dass Evelyn eventuell keine besonders gute Schwimmerin sein koennte. Was mach ich eigentlich, wenn sie untergeht? Koennte ich sie eigentlich retten? Koennte ich natuerlich nicht. Und wenn sie es nicht schafft, bin ich Schuld. Oder? Natuerlich bin ich Schuld...Ich verdraenge den destruktiven Gedanken und konzentriere mich auf mein eigenes Vorankommen. Gute 15 Minuten spaeter erreiche ich den Strand und lasse mich schwer atmend auf den gluehenden Sand fallen. Evelyn erreicht das Ufer einige Minuten spaeter, ca. 100 m weiter suedlich. Nachdem wir uns eine 10minuetige Erholungspause gegoennt haben, machen wir uns daran, den Urwald, der unsere Bucht eingrenzt, nach einem begehbaren Pfad abzusuchen. Immer wieder schlagen wir uns seitwaerts in den Busch, nur um nach wenigen Metern festzustellen, dass es aussichtslos ist. Wir sind uebersaeht von Kratzern und Schuerfwunden, als wir uns resigniert eingestehen muessen, dass der Plan fuer’n Arsch war. Durch den dichten Busch gibt es kein Durchkommen. Das Mokendorf erreichen wir von hier aus auf jeden Fall nicht. Die einzige Moeglichkeit diesen unseligen Strand wieder zu verlassen fuehrt uns ueber das Wasser zurueck nach Ko Surin Nuea, wo unsere Zelte stehen. Und zugegebener Massen sind wir beide nicht besonders erpicht darauf, uns erneut in die reissenden Fluten zu stuerzen. Vor uns rennen die Einsiedlerkrebse emsig ueber den Sand. Schweigend sitzen wir in der kachelnden Sonne am Strand und trinken das mitgebrachte Wasser, als sich ein altes Holzboot unserer Bucht naehrt. Ein braun gebrannter Thai steuert auf uns zu und beaeugt uns mit misstrauischem Blick. „Aeh...hallo. Aeh...sorry...Could you maybe...I mean...would you maybe mind giving us a lift…maybe?“ Offensichtlich versteht er nicht viel von unserem Gestammel, bedeutet uns aber mit einer resoluten Handbewegung ins Boot zu steigen. „Oh thank you so much! You know, we were actually....trying to get to...aeh...aeh to find...the Moken village...Moken, you know?...but aeeh…“ Ok nee, peinlich. Sein Blick verraet mir, dass nichts Sagen definitv manchmal die bessere Option ist. Und laecheln. Ist auch immer gut. Die Rueckker nach Ko Surin Nuea verlaueft gleichermassen einfach wie peinlich. Nach wenigen unangenehmen Schweigeminuten laesst er uns an der Kueste raus und schippert von dannen. Soviel zum Thema Feldstudie. Ich denke, ich werde mir die notwendigen Hintergrundinfos fuer meine Story dann wohl aus dem Internet ziehen.

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