Das Leben im Lager

Der Alltag im Lager ist nichts fuer schwache Nerven, weshalb ich hier auf eine detaillierte Aufzeichnung verzichte und nur die wichtigsten Eckpfeiler wiedergeben werde. Lasst mich soviel sagen: Tarutao ist ein Ort, der Dich alles vergessen laesst. Du vergisst, wo Du herkommst, was Du einmal hattest, und wer Du einmal warst. Ein Ort, der Dich vergessen laesst, dass es so etwas wie Glueck gibt, dass Du vielleicht sogar selbst einmal gluecklich gewesen bist. Der Dich vergessen laesst, dass es so etwas wie Liebe gibt, dass Du vielleicht selbst einmal geliebt hast oder geliebt wurdest. Tarutao ist ein Ort, der Dich vergessen laesst, dass Du Mensch bist, der Dich vergessen laesst, was es heisst, Mensch zu sein. Stell Dir einen Ort vor, der ist wie die Hoelle, nur schlimmer, und multipliziere diesen Ort mit 100 und selbst dann hast Du noch nicht mal die ungefaehre Vorstellung davon, WIE schlimm es auf Tarutao ist.

 „…Tarutao prison - an unescapable hell in the deep sea…”

 

 Der Tagesablauf laesst sich wie folgt zusammenfassen: Stumpf, grausam und deprimierend. Und unendlich grausam. Meinen Schlafplatz teile ich mir mit ca. 150 weiteren Gefangenen, in einer Huette, die maximal fuer 40 Personen ausgelegt ist. Die staerkeren von ihnen haben sich eine der wenigen Holzpritschen gesichert. Der Rest von uns schlaeft neben-, ueber- und untereinander auf dem nackten, stinkenden Holzfussboden. Sanitaeranlagen gibt es nicht. Wir sind darauf angewiesen in dem Raum, der uns zum Schlafen zugewiesen wurde, in die Ecke zu scheissen, der Geruch ist selbst fuer die Hartgesottenen unter uns unertraeglich. Ich teile mir mein Schlaflager mit einem heruntergekommenen Thai namens Num, den ich auf Mitte 40 schaetze, kann mich aber auch taeuschen, weil das Leben im Gefaengnis die Menschen um Jahre aelter aussehen laesst, als sie tatsaechlich sind. Num ist einer der wenigen im Lager, der der englischen Sprache maechtig ist und ist somit dazu verdammt mein einziger Freund auf diesem gottverlassenen Eiland zu werden.

 

Seit geraumer Zeit beobachte ich nun schon einen jungen Thai, der seinen Schlafplatz nur wenige Meter von uns entfernt hat. Anfaenglich ein verhaeltnismaessig solider und stattlicher Kerl, den ich– auch wenn ich ihn natuerlich nicht verstehen konnte –durchaus zu schaetzen wusste, erweckt er nun den Anschein als sei er der wandelnde Tod in Person. Seine Muskeln haben sich innerhalb weniger Tage aufgeloest, sein Gesicht ist aschfahl, in seinen Augen glaenzt der Wahn des Fiebers. Der Mann ist ein Schatten seiner selbst, und es ist offensichtlich, dass sich sein Zustand taeglich verschlechtert. Wenn das so weiter geht, wird er es nicht mehr lange machen. Ich knuffe Num in die Seite. „Was ist mit dem da los?“ „Malaria.“

 „...In 1941 the number of convicts in Tarutao Prison peaked to 3000, but with deaths resulting from malaria, malnutrition and other common sicknesses there were only 1200 men left in 1945...“

 “Warum zum TEUFEL bringt man ihn nicht auf die Krankenstation?!” “No need. No medicine. All finished.“ "What you mean ‚all finished‘? Wann kommt Nachschub?" „Kein Nachschub. Have big problem here. Seems nobody know we are here. Or nobody care. Seems everyone forget.“ Wie ich in Erfahrung bringe, sind wir nicht nur, was die medizinische Infrastruktur angeht, schlecht aufgestellt. Das Essen scheint ebenfalls zur Neige zu gehen. „They used to send people…but now stop. Nobody come anymore. Nobody bring food, nobody bring medicine, don’t know why, must have forget.” Wenn ich es richtig verstehe, liegt die letzte Lieferung vom Festland bereits 3 Monate zurueck. Das erklaert so einiges… „Last week still have one pig...“ One pig! Fuer 3000 Mann! Laecherlich. „...but pig run away and not come back. Now everything finished.“ Ist es zu fassen?! Da sind hier 3000 Mann am verhungern, und die Waerter sind zu bekloppt, ein einziges Schwein zu bewachen! Zum Kotzen! „Kann nicht irgendwer auf dem Festland Bescheid geben?“ erkundige ich mich in meiner unbedarften Naivitaet. „How you mean? Not possible. Here no have boat. Nobody can go. Have to wait until someone coming.“

 „...throughout the struggles of war however, the people of Tarutao prison were somewhat forgotten. The total lack of communications resulted in significant food and medicines shortages…”

 “But now people start talking some things…”, faehrt Num fort. “What you mean, ‘start talking some things’?” “Say convicts and some wardens try to build ship, will try to get something to eat from other ships outside on sea maybe…Not sure.” Mein Gedaechtnis versucht, die Worte die ich auf der Hinweistafel am Eingang des Nationalparks gelesen hatte, zusammenzukriegen.

 “…as desperation grew the convicts only alternative was piracy. During war there was no alternative route and all ships had to bypass the island of Tarutao. Because the Indian Ocean was under Japanese control, all merchant ships were ordered to be unarmed, offering easy pray for the pirates. With open participation of the prison wardens, the piracy became more serious throughout the years. Victims were murdered, ships set on fire, until thy sank.”

Ganz ehrlich, mir reichts. Das kann es ja wohl nicht sein. Ich habe echt keinen Bock, in dieser scheiss Anstalt zu verrecken! Und ich bin nicht darauf erpicht, dabei zu sein, wenn das Gemorde und Gemetzel erst mal so richtig in Fahrt kommt. Das ist doch die verdammte Hoelle hier! Ich.Muss.Hier.Weg. „No way. No way out of here.“ Num deutet mit seiner dreifingerigen Hand auf den dunkelblauen Ozean. „You see? On that side only ocean. No have boat. Many sharks in water. Never can go the sea way. And that way...“ Er deutet in die entgegengesetzte Richtung, “…that way big rocky mountain and jungle. Never can climb mountain. Will fall and die. And if not fall from mountain, die in jungle. In jungle tiger eat you and if not tiger eat you, snake will bite you and you die. And the river: Also no option. If you go river, you crazy! Many crocodile will come and eat you…” …and you die...Verstanden verstanden! Hab ich irgendwo schonmal gehoert. Oder gelesen.

 Surrounded by shark infested waters and inhabited by dangerous wildlife such as crocodiles, snakes and tigers Tarutao prison was an unescapable hell in the deep sea…”

Der junge Mann mit der Malaria stirbt. Sein Name war Leh. Nur einer. Von ueber 1500 Totgeweihten. Ich frag mich, ob mich das gleiche Schicksal ereilen wird.

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