Mein Leben auf dem alten Kahn: Die Besatzung

Insgesamt sind wir 8 Mann an Bord der Fido Dido, plus Captain, plus ich, wenn man mich denn zaehlen kann. Macht also insgesamt 10. Unsere Crew ist ein bunt gemischtes Trueppchen hart gesottener Seebaeren, die weder Tod noch Teufel fuerchten. Und wir sind internationaler aufgestellt, als es zunaechst den Anschein erweckt hatte. Die von Jahren auf See schwarz gebrannte Haut der Maenner hatte mich zu Beginn faelschlicher Weise davon ausgehen lassen, dass ich es ausschliesslich mit Asiaten aus der Region Sued Ost zu tun habe. Aber da gibt es Belgier, Indonesier, Amerikaner, Schotten, Englaender, ausser mir noch einen Deutschen. Der Captain ist Malay. Die Herkunft spielt an Bord allerdings keine grosse Rolle. Das harte Leben auf See, der taegliche Ueberlebenskampf gegen die unberechenbaren Launen des Meeres, laesst uns vergessen, wo wir einmal herkamen und was wir einmal waren. Als heimatlose Seenomaden treiben wir auf den Gewaessern zwischen suedchinesischem Meer und indischem Ozean und einzig Wind und Wellen kennen unser Schicksal. Kaum einer hat mehr als eine vage Erinnerung an sein Leben ante navis. Als Bordsprache spricht man eine gewoehungsbeduerftige Mischung aus Thai, Burmesisch, Malay und Bahasa Indonesia. Einzig der Smutje, der sich entgegen meiner ersten Vermutungen als Singhalese entpuppt, spricht, wenn er denn spricht, Sinhales, was hier keiner verstehen kann. Nach und nach broeckelt die emotionale Mauer zwischen mir und der Besatzung, und so bringe ich in Erfahrung, dass die Beweggruende, die die Maenner an Bord getrieben haben, so vielfaeltig sind, wie ihre Herkunft. Hier ein kurzer Abriss:

 

Da gibt es zum Beispiel Donnie Vasco aus Schottland, der sich nach einem neuen Fortbewegungsmittel umsehen musste, nachdem er sein Motorrad in einem Reisfeld verloren hatte. Dedi John Eyre ist urspruenglich ein alter Trecker und Guide aus einem kleinen Dschungeldorf in Sumatra. Als die Konkurrenz zu gross wurde, begab er sich auf die Suche nach einer lukrativeren Einnahmequelle, verbrachte zunaechst einige Jahre als Lotse vor der Westkueste Sumatras und ist nun Steuermann auf der Fido Dido. Dedi kennt jeden Hai beim Namen und hat eine Vorliebe fuer die Erkundung bislang unbefahrener Gewaesser. Der Englaender Chris Kolumbus weiss gar nicht so genau, warum er eigentlich hier ist, er ist mehr oder weniger durch Zufall auf seinem Weg von Thailand nach Indonesien an Khariburi vorbeigekommen, erblickte den Kahn, befand ihn als „lovely!“ und heuerte an. Der spirituelle Remus de Soto aus Indonesien hatte nachts im Traum eine Eingebung und folgte dem Ruf seines Herzens, dass ihn auf die Fido Dido fuehrte. Aehnlich erging es Angga Tasman, der nicht seinem Herzen, sondern einem Gluehwurm folgte. Dumont d’Urville aus Belgien ist Tiefseetaucher und sucht das Meer nach kostbaren Perlen ab, die er spaeter in handgemachte Schmuckstuecke einarbeiten und auf dem Schwarzmarkt in Malaysia verkaufen will. Und dann gibt es da noch diesen Typen, den alle nur den Obstler nennen (ausser der Smutje, der nennt ihn den Bekloppten). Der Obstler kommt, wie so viele von uns, urspruenglich aus Sumatra und ist nun auf dem Weg nach Hawaii, wo er eine Durianplantage aufbauen moechte. Die Durian ist eine Frucht mit aphrodisierender Wirkung, die auch unter dem Namen Stachelfrucht/Stinkfrucht bekannt ist (Penang Heritage Trails, 2015: „Tradition advises that you fill the wedged skin with water and drink it after eating durian, to lessen the overpowering smell from your breath“). Urspruenglich war der Obstler gemeinsam mit drei weiteren Mitstreitern aufgebrochen, von denen jedoch einer im Dschungel verschuett gegangen ist, und die anderen beiden seit einem Schiffbruch auf dem indischen Ozean vor Pulau Banyak als verschollen gelten. Mit dem Obstler ist das so eine Sache. Er ernaehert sich naemlich ausschliesslich von Fruechten – „sowas nennt man Frutarian“, wie er uns erlaeutert - und geraet deshalb regelmaessig mit dem Smutje aneinander. Da es auf dem Ozean keine Fruechte gibt, musste er auf Seegras umsatteln, das er sich allerdings selbst beschaffen muss, da der Smutje sich weigert, „diesen hirnverbrannten Schwachsinn zu unterstuetzen“. Phil de Brazza ist ein junger Deutscher, der mehrere Jahre im Exil an der Aragum Bay in Sri Lanka verbrachte („weil es da so geil gechillt war“), bevor er gemeinsam mit einem unbedarften Schiffsjungen, den er im Auftrag einer auslaendischen Regierungsorganisation unter seine Fittiche genommen hatte, an Bord kam. Das rauhe Leben auf See sollte den Jungen abhaerten und „dem kleinen Asi zeigen, wie der Hase laeuft!“, bevor er dann gereift und um einige wichtige Lebenserfahrungen reicher zu seinen Eltern zurueck kehren sollte. Das Schicksal hatte andere Plaene. Der „kleine Asi“ ging bereits in der ersten Woche ueber Bord und ertrank. Phil blieb.

 

Es ist erstaunlich, aber nach einer anfaenglichen Aufwaermphase erscheint es mir fast so, als wuerde ich die Mannschaftsmitglieder schon seit Ewigkeiten kennen, fast so, als waer ich ihnen irgendwo schon einmal begegnet. Das Leben ist manchmal sonderbar...

 

 

Nun gut. Wie der aufmerksame Leser sicherlich bemerkt hat, fehlen uns noch zwei Gestalten, um meine Auflistung komplett zu machen. Der unbekannte Wilde und der Captain. Mit dem unbekannten Wilden verhaelt es sich aehnlich, wie mit dem Elefant von Sumatra – mal ist er weg, mal ist er da. Seine Zeit ist jetzt noch nicht gekommen, da er fuer den Lauf unseres Schicksals jedoch nicht ganz irrelevant sein wird, werden wir uns zu einem spaeteren Zeitpunkt nochmal genauer mit ihm befassen muessen. Und dann der Captain. Ja, der Captain. Den Captain nennen wir hinter seinem Ruecken Luzifer, denn er ist der fleischgewordene Teufel, eine Ausgeburt der Hoelle, die Fido Dido sein Bindeglied zwischen Ober- und Unterwelt. Dort, wo normale Menschen Zaehne haben, spriessen bei ihm spitze Zacken aus dem Zahnfleisch. Alles, was er isst, verschlingt er roh, und immer wenn er seine moerderischen Beisser ins Genick unserer bemitleidenswerten Schweine und Huehner haut, und ihm das frische Blut aus den Mundwinkeln tropft, laeuft es mir kalt den Ruecken herunter. Sein Fleischkonsum ist ueberproportional hoch, so dass sich der Rest der Besatzung in der Regel mit dem Abschlutschen der von ihm ausgespuckten Knochen begnuegen muss. Als junger Bursche wurde ihm im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einer wilden Piratentruppe vor der Kueste der beruechtigten Gefaengnisinsel Ko Tarutao mit einem Saebelhieb die linke Gesichtshaelfte aufgeschlitzt. Seitdem ist bei ihm das, was bei anderen Leuten ein Gesicht ist, eine entstellte Fratze, bei der sich die Mundoeffnung auf der linken Seite bis zum Ohransatz fortsetzt. Er ist ein Tyrann und Sadist, tut alles, um die Besatzung bluten zu sehen. Die gaengigen disziplinarischen Massnahmen umfassen Kiel hohlen (der Bestrafte wird an einem Tau unter dem Rumpf des Schiffs durchgezogen, entweder querschiffs von einer Nock der Grossrah zur anderen, oder, wenn man besonderes Pech hat, laengsschiffs vom Bug zum Heck. Keine besonders beliebte Massnahme, da die rauen Ablagerungen der Seepocken und die scharfschaligen Entenmuscheln am Schiffsrumpf einem die Haut aufschlitzen, als bestuende sie aus billigem Papier), “Ankern“ (eine von ihm erfundene Foltermethode, bei der einem ein schweres Gewicht an die gefesselten Fuesse gebunden wird, mit dem man solange im Meer versenkt wird, bis der Captain es fuer ausreichend befindet und einen von uns mit einem Messer auf Tauchgang schickt, um das Tau zu kappen und den ertrinkenden Kompanjung aus seinem grauenhaften Schicksal zu befreien). Und „Mastfeuern“ (eine etwas gelaeufigere Foltermethode, im Rahmen derer man ruecklings an den Mast genagelt wird, und fuer mehre Tage stehend, ohne Fluessigkeitszufuhr schutzlos der kachelnden Sonneneinstrahlung ausgesetzt wird, bis man kollabiert). Er kennt die Schwaechen jedes Einzelnen und nutzt dieses Wissen, um uns zu quaelen. Den Obstler zum Beispiel hat er dazu verdonnert, den gefangenen Fischen, Walen, Schildkroeten und Delfinen etc. nach dem Einholen der Netze mit einem Knueppel den Gar aus zu machen, was den armen Kerl regelmaessig an seine emotionalen Grenzen gelangen laesst. Oft beobachte ich ihn, wie er nachts nach getaner Arbeit winselnd und bibbernd in seiner Koje liegt, und wie im Trance ein schauerliches Lied vor sich hinsummt, das von der menschlichen Erloesung durch den Konsum der Durianfurcht handelt. 

 

Fortsetzung folgt.

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