Mein Leben auf dem alten Kahn. Die Prophezeiung

So, zurueck zu meinem Leben auf dem schicksalstraechtigen Kahn.

Eine unangenehme Nervositaet macht sich in meinem Koerper breit. Die naechsten Tage bin ich angespannt, und verrichte meine Arbeit unkonzentriert. Beim Deckschrubben ramme ich Dedi versehentlich den Wischmobb zwischen die Beine, so dass wir zwischenzeitlich vom Kurs abkommen, was uns gut 30 zusaetzliche Seemeilen kostet. Es haett nicht viel gefehlt, und Luzifer haette mich deshalb gemastfeuert. Ich ueberlege, ob ich die Fido Dido verlassen und mich heimlich aus dem Staub machen sollte. Aber ich wuesste ehrlich gesagt nicht, wohin. Meine Erfahrungen von meinem Schiffbruch vor Pulau Banyak sind mir noch in schlechter Erinnerung, und ich bin nicht besonders erpicht darauf, erneut mehrere Wochen orientierungslos im Ozean zu treiben und darauf zu bauen irgendwann gerettet oder an Land einer unbewohnten Insel gespuelt zu werden. Ausserdem kann ich die Mannschaft ja schlecht im Stich lassen. Besser man ueberredet die Maenner zur Meuterei. Aber besser, man wartet damit, bis man sich naeher am Festland befinden. Dann kann man, wenn das Ganze nach hinten losgehen sollte, ueber Bord springen, an Land schwimmen und abhauen. Der Wilde ist seit der verhaengnisvollen Nacht uebrigens wieder untergetaucht. Uns allen ist klar, dass an diese Typen was faul ist. Was diese Faeule aber konkret ausmacht, darueber scheiden sich die Geister. An Bord erzaehlt man sich die abenteuerlichsten Geschichten ueber ihn. Remus ist der festen Ueberzeugung, dass der Wilde nicht aus Fleisch und Blut besteht. Es handele sich um einen Geist, und zwar aus der Hoelle, einen Boten des Teufels, mit der Mission die Fido Dido und ihre Besatzung ins Verderben treiben zu lassen. Sein wiederholtes spurloses Verschwinden resultiere aus regelmaessigen Besuchen in der Unterwelt und beweise seine Theorie. Phil meint, das sei Schwachsinn, alle wuessten ja wohl, dass der Wilde Kettenraucher ist, und Geister rauchen nicht (Remus meint, das sei kein Zigarettenqualm, das sei Schwefelrauch aus der Hoelle). Donnie wiederum meint, der Wilde sei ein Deserteur und Kriegsveteran, vermutlich ein ehemaliger Rebell des Karenvolks, das in den Bergen zwischen Thailand und Burma gegen das burmesische Militaerregime kaempft. Die unheilvolle Narbe sei eine alte Kriegsverletzung, fuer sowas habe er den Blick. Einer weiteren Theorie zu Folge ist er ein gesuchter Gewaltverbrecher auf der Flucht vor den indonesischen Regierungsbehoerden, und Dedi widerum behauptet, er habe sich die Narbe im Kampf mit einem Sumatran Tiger zugezogen und sei ansonsten harmlos. Welche Version denn nun auch immer zutrifft, eine Sache ist auf jeden Fall beunruhigend. Wir alle teilen exakt die gleiche Erinnerung an den Tag, an den wir an Bord kamen. Der Wilde lehnt am Mast, mit flatternden Haar. Rauchend. Sein Blick starr auf den Horizont gerichtet. Und das war der Moment, in dem wir wussten: Du hast keine Wahl. Du musst auf diesem Kahn anheuern. Ich kann es nicht mit 100 prozentiger Sicherheit sagen, aber ich habe das dumpfe Gefuehl, dass ohne ihn keiner von uns jemals an Bord der Fido Dido gelandet waere. Der Wilde ist das Bindeglied, an dem alle Faeden zusammenlaufen. Der Lockvogel. Der, der ueber unser Schicksal waltet. Dedi und Phil feiern diese verhaengnisvolle Erkenntnis mit einem ueberdimensionalen Joint. Das aergert mich, weil das nur wieder heisst, dass wir wieder mal vom Kurs abkommen, und das widerum heisst, dass wir dazu verdammt sind unnoetig lange auf diesem unheilvollen Kahn zubringen zu muessen.

 

Und als ich eines Tages, noch vor Anbruch der Morgenroete, damit beschaeftigt bin, die Gallionsfigur zu polieren, steht er auf einmal neben mir. Ich habe ihn nicht kommen hoeren, es ist als sei er aus dem Nichts erschienen. Und er sagt folgendes: „Dieses Schiff. Wird sinken.“ Dieses.Schiff.wird.sinken. Und als ich ihn fragen will, was genau er denn jetzt damit meint, ist er verschwunden.

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