Unter Berbern

Meine Gazelle ist wider Erwarten auf halber Strecke eingeknickt, so dass ich die kleine Passtrasse, die sich ueber 60 km von Demnat nach Ait Bougmez in schwindelerregenden Hoehen durch den hohen Atlas schlaengelt in einem in die Jahre gekommenen Mercedesvan mit fehlender Seitentuer zuruecklege. Hier treffe ich auf Katherine aus den USA, die mir fortan eine treue Weggefaehrtin werden soll. Wir sind weit und breit die einzigen Fremdlinge. Alle paar Meter halten wir, ein Berber steigt aus, ein Berber steigt ein, ein Plastikkanister fliegt raus, eine Plastiktasche fliegt rein, ein paar Jugendliche und ein Esel starren am Strassenrand in den Abgrund, irgendwas scheint abgestuerzt zu sein. In den Kurven klammern sich Kinder an Greise, Greise klammern sich an Plastikhocker, Frauen klammern sich an ihre Taschen, Ziegen klammern sich an mich, ich klammere mich an die abgebrochene Kopfstuetzte meines Vordersitzes. Ich versteh zwar kein Tschlhait, aber die Stimmung ist gut. Der uralte Greis neben mir schmunzelt weise. Es ist ein sehr alter, sehr weiser Berber mit sehr dicker Brille und Krueckstock, und ich glaube er traegt die gesamte Weisheit der Menschheit in sich. Auf dem Kinn und der Stirn der runzligen Gesichter der alten Berberfrauen sind mit einem Gemisch aus Pflanzensaft und Kohle schwaerzliche Berberzeichen eintaetowiert, die sie. gemaess alter Berberbraeuche als Eigentum ihres Mannes kennzeichnen. Die pechschwarzen Augen sind mit schwarzblaeulich schimmernder Kohle umrandet, Fuesse und Handinnenflaechen mit dunkelrotem Hennah gefaerbt. Zaehne sind rares Gut. Die Berge, die uns umgeben, werfen knitterige Falten. Die Lehmhaeuser verschwinden im Fels, so als waeren sie eins mit ihm. Oder so, als waeren sie gar nicht da.Auf 1900 m Hoehe steigen wir aus. Durch Apfel- und Wallnussplantagen legen wir die letzten vier Kilometer zu Fuss zurueck, bis wir das abgeschiedene Berberdorf Ait Timi erreichen. Die ideale Location, um meine kleine Feldstudie zum Thema Berberbraeuche durchzufuehren.

 

Abends liege ich auf dem Dach unserer Lehmhuette und starre in die Milchstrasse und die hundert tausend milliarden Sterne ueber mir und zaehle die Sternschnuppen. Die Nachtluft ist klar und kalt, es riecht nach Feuer und Kuhdunk, unter mir im Stall schreit ein Esel, irgendwo maeht ein Schaf, irgendwo bellt ein Hund. Ansonsten Ruhe. „Allahu akbar!“ Abdul erscheint auf dem Dach und raucht eine Zigarette „guten Berberkif aus der Region“. Der Muezzin ruft zum fuenften und letzten Mal fuer heute, Abdul verschwindet wieder und geht beten.

Als ich spaeter unter drei Wolldecken auf meinen Holzplanken liege, ueberlege ich kurz, ob es sein koennte, dass in meiner Huette ein Djinn wohnt. Ich werde morgen mal Abdul fragen, wie es um die Djinns in der Atlasregion bestellt ist, und ob sie einem im Zweifelsfall mit Geld aushelfen koennen.

 

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