Tag 1, 2900 M. ue.n.N. Paranoia. Oder: Allein unter Woelfen

Am Rande eines kleinen Flusslaufs schlummert die verfallene Ruine eines alten Viehstalls. In den niedrigen Raeumen schwebt der Geruch von kaltem Stein, verbranntem Holz und Schafsdunk. Der Wind pfeift durch die Steinsbrocken. Unser Nachtlager. Das sieht mir hier alles stark nach Djinns aus. Ich bin platt, lasse mich einige Meter bergauf aufs Gras fallen und verfalle in eine Art Trance. Dann kommt Katherine: „I am sorry for being such a naïve and dumb American girl, wearing these tight pants and not covering my hair properly!” Hm? Whazza problem? “While you were out, he kissed my cheek and touched my bum!” Aus ists mit der Idylle, der unbeschwerten. Abdul entpuppt sich als ekelerregender Lustmolch, Katherine ist durch den Wind, die Laune fuer’n Arsch. Wir sitzen hinter vertrocknetem Buschwerk in der Abendsonne, lassen unseren Blick hinab ins Tal schweifen und kommen uns daemlich vor. Wir haben keinen Plan wo wir sind, geschweige denn, wo sich die naechste Siedlung befindet. Wir sind hier allein mit zwei uns weitestgehend unbekannten Marokkanern, die sich als Guide ausgeben und einem Maultier. Wir sind den Mannen ausgeliefert. Die Stille ist nicht mehr angenehm, sondern beunruhigend, die Einsamkeit bedrohlich. Abdul ist ein kleines, knochiges, ekelhaftes Berbermaennchen mit faltigem Gesicht und schwarz gefaerbten Zahnresten, aus seinen Poren dampft eine beissende Duftmischung aus kaltem Schweiss und Zigarattenqualm. So klein und knochig, da sind wir uns immerhin einig, dass wir ihn im Falle des Falles ohne weitere Antstrengung ueberwaeltigen koennten. Schliesslich sind wir beide gut in Form. Mit Zacharia ist das so eine Sache. Der Fuehrer unseres Maultiers ist jung und durchtrainiert, das waere schon ein harter Kampf. Eigentlich schien er aber ein korrekter Typ zu sein, sieht auch nicht so uebel aus - aber des Nachts allein im hohen Atlas sind wir uns da nun auch gar nicht mehr so sicher. Ich bohre mit meinem Schweizer Taschenmasser Loecher in den Boden und frage Kathrin, ob sie sich vorstellen koennte, im Notfall jemanden damit zu erstechen. Sie ist sich da nicht so sicher, auf jeden Fall koennte sie ihm in den Arm stechen. „What do you think is the punishment for rape here?” Hmm, keine Ahnung, schaetze wenn ueberhaupt wird die Frau gepunisht. Unsere Phantasie schlaegt Kreise. Wir ueberlegen uns mitsamt Maultier aus dem Staub zu machen und malen uns die kraeftezehrende Flucht durch den hohen Atlas aus. Vielleicht uebertreiben wir. Abduls Fratze erscheint hinter dem Buschwerk. „Katreen, Stephan, Tea ready“. Ich stopfe mir das Messer in die Hosentasche. Eins ist schon mal klar, mit den Burschen, werden wir auf keinsten Fall im gleichen Viehstall schlafen. Beim Tee versuche ich das Gespraech (leider bin ich hier immer die einzige, die reden muss, weil Katherine weder franzoesisch noch arabisch spricht und Abdul kein Englisch, und Zacharia sowieso nur Tschlhait) auf sachliche Inhalte zu lenken. Z.B. Terrorismus. Letzten Monat wurde im hohen Atlas ein Franzose bei dem Versuch ueberwaeltigt, einen Rucksack, voll beladen mit Munition und Waffen ueber die Berge nach Sueden zu schmuggeln, wo er sich mit einem Kontaktmann treffen wollte, um ein Hotel in die Luft zu sprengen. Ich muss an die unangenehme franzoesische Wandertruppe denken, die sich letzte Nacht in unserer Unterkunft in Ait Timi breit gemacht hat, und stelle mir einen baertigen Mann vor, der „Frere Jaque“ singt, in seiner Hand eine Flasche Rotwein.

Dann verkuenden wir, dass wir draussen schlafen werden und ziehen mit unseren Wolldecken auf die Wiese auf der anderen Seite des Flusses. Ueber uns funkeln die Sterne in Millionenfacher Ausgabe. In weiter Ferne, hoch oben in den Bergen, flackert das Feuer eines einsamen Hirten. Nach einer Stunde sind wir durchgefroren und leicht nass. So gehts nicht. Wir ueberlegen kurz, was nun und beschliessen unseren Schlafplatz auf das Stalldach zu verlegen. Immerhin immer noch ausserhalb der Reichweite Abduls luesternder Blicke. Bei dem Versuch, unser Nachtlager einzurichten, breche ich durch die Lehmdecke und haenge mit einem Bein in Zacharias Tarjine. So gehts auch nicht. Wir haben kein Bock mehr und ziehen wohl oder uebel nach unten zu den Maennern. Irgendwann penne ich ein, mit dem Hijab auf dem Kopf, vorsichtshalber noch einer Muetze drueber, und dem Messer in der Tasche. Was will man machen...

 

Des Nachts passiert: nichts! Zum Fruehstueck gibt es eingelegte Sardinen aus metallernen Konserven.

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