Bei Said

Ich bin in Taroudant, einer Oase der Ruhe und Gediegenheit. Dank des wertvollen Rats eines Hippiebruders von Priscilla bin ich bei Said untergekommen, der drei Zimmer in seinem ehemaligen Elternhaus als Gaestezimmer untervermietet. Die Wohnung – mehr WG als Gaestehaus – ist eine Seifenblase positiver Spirits, die Atmosphaere ist so entspannt, dass ich aufpassen muss, mich nicht in eine formlose Glibbermasse aufzuloesen (und auf dem Dach zu verdampfen).

Aus dem Wohnzimmer erklingt Blues und Rock’n Roll, von den Waenden des als Galerie umfunktionierten Raumes starren einen die abstrakt kubistischen Gesichter von Prince, John Lennon, Jimmie Hendrix, Keith Richards, Jim Morrisson und weiteren Rockgroessen an, dazwischen moderne Strichzeichnungen marrokanischer Wuestenbewohner und die eindringlichen Potraits anonymer Gesichter der Strasse. Auf seiner Akkustikgitarre schwebt Said durch eine melodische Klangwelt aus Blues, Jazz und Rock’n Roll, eine Passion, ja fast schon eine Obsession, seine Fingerkuppen sind blasig blutig, seit er versucht, die „Vibrationstechnik“ zur Perfektion zu bringen („I’m trying to get the vibrations right, it is not so easy, but I’ll keep trying“). Said hat nie die Schule besucht, umso beachtlicher sein enormer Intellekt, was Weltpolitik, Geschichte und Philosophie angeht. Ein marokkanischer Analphabet mit einem derart perfekt ausgefeilten britischen Akzent, dass man annehmen koennte, man unterhielte sich mit einem Oxfordstudenten. In seinem Buecherregal stapeln sich Werke von Dickens, Huxley, Coelho und Che Guevara. Neben „Trainspotting“, „Modern American Shortstorys“ und „Into the Wild“ reiht sich systemkritisch revolutionaere Lektuere, wie „God is not great“ und „The God Deillusion“.  

 

Ich verbringe meine Tage damit, mir die Tagebuecher von Che Guevara einzuverleiben oder mir von dem gesellschaftskritischen Said bei einem Glas Kaffee die Eigenheiten einer kraenkelnden marrokanischen Gesellschaft erlaeutern zu lassen.

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