So viel Zeit muss sein. Oder: Besessen.

Ich sitze auf dem Dach des Atlanic Hostel. Minderbemitteltes Partyvolk besaeuft sich mit Pasties und billigem Wodka, verfeuert die letzten verbleibenden Gehirnzellen in Haschzigaretten. Berauscht an der Illusion unnachahmlicher Coolness schwelgen sie in einer toxischen Blase ueber den Daechern der Stadt und vergiften die heilige Stille des Abends mit den nervenzerfetzenden Sounds trashiger Trancemusik. Die Nachbarin vom Dach gegenueber kaempft eine tapfere Schlacht gegen die unaufhaltbare Invasion parasitaerer Eindringlinge aus dem Westen. Aus einer extra hierfuer eingerichteten Lautsprecheranlage bebombt sie die leichtbekleidete Armee hedonistischer Kleingeister mit den belehrenden Klaengen sakraler Koransuren – in einer Lautstaerke, die einem das Trommelfell zersprengt. Moege der Lauteste gewinnen... Auf der zum Scheitern verurteilten Suche nach meiner inneren Mitte an diesem Ort spiritueller Verdorrtheit, bahnt sich ein weiterer Laut seinen Weg durch meinen geschundenen Gehoergang. Von irgendwoher, in nicht all zu weiter Ferne, erschallen rythmische Tbalschlaege. Und ich hoere das Rasseln von Qaraqip. Ich spitze die Ohren, strecke meinen Kopf ueber die Bruestung, recke mich ein wenig und ja, es besteht kein Zweifel, irgendwo da draussen geht irgendetwas ab. Man ruft mich. Ich hab keine Wahl.

 

Meine Beine setzen sich in Bewegung. Als seien sie fremdgesteuert. Wie von Geisterhand gefuehrt folge ich den Rufen dieser fremdartigen Rythmen, bahne mir meinen Weg durch durch ein endlos erscheinendes Labyrinth verwinkelter Gassen und hohler Gaenge, und als ich schon laengst nicht mehr weiss, wo ich ueberhaupt bin und was ich hier ueberhaupt mache, erreiche ich vor einer kleinen unscheinbaren Tuer das Ziel meines naechtlichen Streifzugs. Mit einer Selbstverstaendlichkeit, mit der man einem erwarteten Gast zu Tisch bittet, winkt man mich herein. Die Musik wird lauter,und ehe ich so recht begreife, wie mir eigentlich geschieht, durchschreite das Tor zu einer Welt aus Dschinns, Geistern und okkulter Besessenheitsriten. Ich befinde mich in einem riesigen, mit Menschen gefuellten Innenhof, in dem die benebelnden Rauchwolken mir bis dato unbekannter Inszenzen haengen. Und wie ich alsbald feststellen soll, ist das, in was ich da so mir nichts Dir nichts reingestolpert bin, ein geheimes Derdeba Ritual, ein Besessenheitskult der Sufi-Bruderschaft, im Rahmen dessen man sich dem Angriff boeser Geister entgegensetzt, im Rahmen dessen die Seele vom Leben in den Tod und zurueck ins Leben gleitet.

 

Meine Anwesenheit scheint keinen zu verwundern. Weder mich, noch die anderen. Die Musiker sind eingehuellt in weisse, mit Gold bestickte Umhaenge, auf ihren wild hin und her schleudernden Koepfen sitzt ein mit weissen Muscheln verzierter roter Fes. Die Fusssohlen und Handinnenflaechen der Frauen sind verziert mit wundersamen und wunderschoenen Hennahmustern, so fein und detailliert, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Verkrueppelte Greise, die kaum mehr gehen koennen, lassen im extatischen Rausche der repetetiven Rythmen ihre Koerper kreisen, als waeren sie 20 Jahre jung, kleine Jungs werfen ihre Arme auf und nieder, drehen sich im Kreise, immer wieder, immer schneller, immer schneller, bis sie vor Erschoepfung zusammenbrechen, Besessenheitstaenze, die Raeucherinszenzen benebeln meine Sinne.

 

Die Alte neben mir schwebt bereits in anderen Sphaeren, die schwarze Kapuze ihres Umhangs rutscht ihr ins Gesicht, wild wirft sie ihren Kopf vor und zurueck, ein kleiner Junge laesst sie den Rauch der abbrennenden Inszenzen inhalieren, ihr Koerper verbiegt sich in unnatuerlichen Winkeln, eine voll verschleierte Hexe stoesst schrille Trillerlaute aus, die sind nicht von dieser Welt, lauter werdende Trommelschlaege, schneller, schneller, die Alte schlaegt ihren Kopf gegen die Steinwand die Schultern meiner juengeren Sitznachbarn fangen an zu zucken derRythmuslaesstmichwegdriftenmeinKopfbeginntzukreisenwirklatschenunsereHaende der wippende Fuss meiner alten Sitznachbarn bohrt sich in meinen Oberschenkel meinKopfkreist ein Maedchen wirft sich auf die Knie wippt wie eine Besessene ihre Augen verdrehen sich sie zuckt wild auf allen vieren robbt sie in Richtung der Musik reisst ihren Kopf rauf und runterraufundrunterraufundrunterschuetteltsich wir druecken uns an die Wand um ihr nicht im Weg zu sein zwei Frauen stuetzen sie von hinten haelt man sie an einem um ihren koerper geschlungenen guertel damit sie sich nicht verletzt waehrend ueberirdisches die kontrolle ueber ihren koerper uebernommen hat bis sie zusammenbricht und der Geist ihren Koerper verlaesst. Regungslos liegt sie auf dem Steinfussboden, ihre Stirn ist von Schweissperlen bedeckt, man verhuellt sie mit einem Schleier und schleift die schlaffe Gestalt zurueck in die Ecke aus der sie gekommen ist, wo sie wenige Minuten spaeter erwacht.

Die Gerueche werden intensiver, die Trommeln schlagen schneller, meinKopfdrehtsichimRythmusderTrommelschlaegewirreissenunsdieSchleiervondenKoepfenschuettelnunserHaarichweissnichtwasmitmirgeschiehtmeinHerzschlagwirdschnellerbummbummbmbmbmbm das maedchen schreit die alte frau schreit schlaegt ihre haende vors gesicht das maedchen wirft sich auf den boden ihr koerper zuckt hektisch ichhabemeinenkoerpernichtunterkontrollebummbmmbmmbmmichkannnichtmehrichmusshierrausichmusshierrausmusshierraus...

 

 

4 Stunden spaeter bin ich wieder auf dem Dach des Atlantic Hostels. Voellig durch den Wind. Kann kaum sprechen. Voellig erledigt. Abdels Gesicht erscheint vor mir. “Stef! Where were you??” Muehsam presse ich ein paar Wortfetzen hervor, und versuche ihm klar zu machen, was ich gerad fuer eine krasse Scheisse mitgemacht hab. „Stef, promise me, NEVER go to these kind of places again! This really bad, many djinns around there, just promise me, stay away from these things! Reaaally crazy many people reaaaallyy scared of this”. Das kann ich dir aber fluestern, mein Lieber, einmal und NIE WIEDER, ich wiederhole: N-I-E W-I-E-D-E-R! Bleibt mir fern Geister und Hexen und Djinns und Schrecksen und Gesindel! Meine Welt ist nicht bereit fuer Euch! Meine Fresse, was fuer ne Nacht! (Und, meine Lieben, diese Story ist von vorne bis hinten wahr)

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