Spuk in den Anden

Der Regen prasselt gegen die Fensterscheiben des Schrottbusses aus der Urzeit. Der Nebel nimmt Dir die Sicht. Eine Herde Vicunas erscheint aus dem grauen undurchsichtigen Nichts. Grazile Silhouetten auf Stelzenbeinen, zart und fragil, durchsichtig fast. Und wenn der Nebel ihre Hufen verschlingt, scheint es, als wuerden sie schweben. Und dann verschwinden sie wieder, als waeren sie nie dagewesen. Geisterhaft.

Cabanaconde. Es schuettet aus Kuebeln. Es ist dunkel. Die Strassen loesen sich auf und werden zu Fluessen. Ich wate durch den Schlamm, und sehe nicht, wo ich hintrete. Mir ist kalt. Meine durchweichten Klamotten verfluessigen sich, kleben an mir, wie eine zweite Haut. Eine Fischhaut.

Kein Mensch auf den Wegen, kein Leben. Trostlos. Dunkel. Nass. Kalt. „Hostal Valle de Fuego“. Zerfallenes Mauerwerk. Stein auf Stein auf Moos auf Stein. Die Scheiben sind zerbrochen. Es brennt Licht. „Gluehwein. Spaghetti. Pisco Sour. Sandwich. Alpacka. Room.“ Ich klopfe. Nichts. Ich klopfe. Nichts. Ich oeffne die Tuer, und sie quietscht. „Hostal Valle de Fuego“ loest sich von der Eingangstuer und faellt in den Matsch. „Hola!“ Nichts. „Hoolaaa!“ Nichts. Das Radio laeuft. Rustikale Steinwaende formen einen steinernen Salon, in einer Ecke stapeln sich verstaubte Buchfetzen von verstaubten Reisenden aus den vergangenen Jahrhunderten. In einer anderen Ecke Zeitschriften aus den 70ern und 90ern. Ich suche Menschenleben. Der Hinterhof ist dunkel. Nass. Und kalt. Zerbrochene Holzstuehle und ein ausrangiertes Sofa modern zwischen Sparten und Metallfaessern. In der Kueche bewegt sich was. Dreck und Konserven und Einmachglaeser und ungewaschenes Geschirr. Menschenleben gefunden. Halb Mensch, halb Tier. Eine schwere Lederjacke, mit Alpackafell und Menschenfleisch gefuettert, die zerschneidet Fleischstuecke auf einer Holzplatte. „Hooolllaa!“ Keine Reaktion. H-O-L-A-A-A-A! „Ich hab Dich erwartet. Setz Dich.“ Ich sehe was, was du nicht siehst, und das sind keine Vorderzaehne. „Mate de Coca?“ Ich trinke warmen Mate de Coca, aber mir wird nicht warm. Meine Schuhe sind nass und meine Fuesse sind Fischflossen aus Eis. „Heute morgen hatte ich eine Vision von Dir. Drum wusste ich, dass Du kommen wirst. Als Du in der Kueche standst war ich mir nicht sicher, ob Du real bist, deshalb hab ich zunaechst nicht geantwortet. Ich bitte um Entschuldigung.“ Mmmm. Der Mann ist merkwuerdig. Im Schummerlicht kann ich ihn schlecht erkennen. Seine Augen verschwinden im Schatten eines zerissenen Schlapphuts. Unter dem waechst langes filziges Haar, das in einen langen filzigen Bart uebergeht. Grau schwarz schwarz grau. Wuchtige Repitilienknochen durchbohren seine ledernen Ohrlappen, um seinen Hals haengt ein steinernes Holzkreuz.

 

Mein „Zimmer“ ist eine karg eingerichtete Kammer mit drei Pritschen. Auf dem steinernen Boden steht ein metallerner Pisspott. Es tropft durch die Decke. Der Wind saeuselt durch die fehlende Fensterscheibe. „Das ist Dein Bett.“ Das unter der fehlenden Fensterscheibe. „Die anderen sind feucht, in denen kannst Du nicht schlafen.“ Es knackt. Und frostig kalt.

 

Spaeter gibt es zaehes Alpackafleisch auf faden, verkochten Nudeln. Ohne Salz. „Das letzte Alpacka.“Waehrend ich esse, beobachtet mich Yamil schweigend. Unbehagen.

 

Ein Klopfen zersprengt die Stille. Yamil reagiert nicht. Draussen steht eine vom Regen durchgeweichte Gestalt, dicke Wassertopfen tropfen von seiner farblosen Kapuze und unter der Kapuze, da ist nichts, denn der Regenfluss hat das Gesicht davongespuelt. Ein Regengeist. Er klopft und tropft. Yamil reagiert nicht. „Da draussen steht jemand, der will rein.“ „Die Herberge ist voll.“ „Food?“ „Das war das letzte Alpacka.“ Der Regengeist schwimmt in den Schlammpfuetzen davon und wird zu einem Schlammgeist. Yamil verammelt die Tuer. Ich saeusele irgendwas von Geistern, und weiss nicht mehr genau, wie ich darauf komme. Yamil erkundigt sich, ob ich an sowas glaube. An Geister. „Obviamente.“ Ich erzaehle von meinen Djinn-Erfahrungen in Marokko. „Spaeter beim Pisco Sour erzaehl ich Dir was zu dem Thema.“ Das Holz im Ofen knackt und wimmert und klagt leise, waehrend es von den Flammen verschlungen wird. Yamil presst die Limonen fuer den Pisco Sour. Der Regen trommelt auf das Dach aus Wellblech und Stroh. Wuchtige Wurstfinger mit schwarzen Fingernaegeln zerdruecken die Eier fuer den Pisco Sour. Und mir schwant nichts Gutes.

Eine schattenhafte Augenpartie fixiert meinen Hals. „Man hat Dich stranguliert.“ Wie bitte? „In Deinem frueheren Leben. Wurdest Du umgebracht. Man hat Dich stranguliert. Hier, trink das.“ Ein Glas weisser Rum. Wir sind allein in dem steinernen Saal. „Du warst maennlich.“ Das Radiosignal bricht ab. Das scheint mir hier ein Geisterdorf zu sein...“Setz Dich hier zu mir ans Feuer.“ Ich bleibe besser auf Abstand. Was ist jetzt mit den Geistern? „Es gibt hier im Dorf ein Haus aus Stein. Da lebte ein Mann mit seiner Familie, der hat schwarze Magie betrieben. Drum haben die Leute im Dorf das Haus gemieden. Eine tragische Geschichte. Der Sohn wurde verrueckt, und ist jung gestorben. Wenig spaeter hat die Tochter sich umgebracht. Den Tod des Hexers habe ich im Kokablatt vorhergesehen. Komm naeher.“ Ich ruecke mit meinem Holzhocker ein paar Zentimeter zurueck. Dieser Geruch. „Die Arbeit mit den Fluechtlingen hat Dich veraendert, nicht wahr?“ Der Mann weiss von den Fluechtlingen. Woher? „Merkwuerdig, aber fuer einen kurzen Moment habe ich eine Kurdin in Dir gesehen. Dabei kenn ich keine Kurden.“ Die Beklommenheit heftet sich an meinen Koerper, wie ein schwerer Stein. Und zieht mich hinab auf die Tiefen eines Sumpfes aus Schlamm. Wo es finster ist und nass, und ich keine Luft bekomme. Die dunkle Aura dieses Ortes droht mich zu ersticken. Und der Feuerschein ist die einzige Lichtquelle an diesem Fleck der feuchten Finsternis.

 

„Heute steht das Haus des Hexers leer. Nachdem er gestorben ist, hat jemand die Tuer des Hauses zugemauert. Keiner hat es seitdem mehr betreten.“ Das mit der Tuer war dumm, wie ich finde. Eine alte Faustregel besagt, ein Geist verlaesst das Haus nie, durch die gleiche Tuer, durch die er gekommen ist. Drum muss beim Hausbau stets darauf geachtet werden, dass es mindestens zwei Ausgaenge gibt (Wenn ich mich recht erinnere, hab ich das in Marokko gelernt.) Ich will also nicht wissen, wie es in dem Inneren eines Hauses zugeht, in dem ein schwarzer Magier sein Unwesen getrieben hat, dass von vornerein nur eine Tuer hatte, die nun auch noch irgendein nichtswissender Vollidiot zugemauert hat.

„Als ich eines Abends auf dem Heimweg das Haus passiert habe, stand dort eine Frau vor der Tuer, ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen, denn sie trug einen Hut, den sie tief ins Gesicht gezogen hatte, alles, was ich erkennen konnte, war eine tiefe, konturlose Schwaerze. Die sagte etwas zu mir auf Quechua, aber ich spreche kein Quechua, drum konnte ich es nicht verstehen. Aber diese Phrase heftete sich in meinem Gedaechtnis fest, und immer wieder musste ich gedanklich diese fremden Worte wiederholen. Am naechsten Morgen fragte ich meinen Onkel nach der Bedeutung. „Sieh mich an. Sieh mich an.“ Sagte sie.“ Das Holz im Ofen knackt. „...die zugemauerte Tuer zu dem verlassenen Haus des toten Magiers, das weiss ich jetzt, ist die Pforte zu der Welt der Toten. Die Bruecke zwischen Leben und Tod, zwischen Diesseits und Geisterwelt. In Deutschland hast Du unter einer ungluecklichen Liebe gelitten, nicht wahr?“

 

 

Was folgt? Die Nacht im Gemach der toten Tante.

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